Richtlinien für den Härtefonds des Landes Rheinland-Pfalz zur Unterstützung von Opfern des Nationalsozialismus

Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Finanzen vom 2. Dezember 2019 (4471-0001-0401 433)

1 Allgemeines

1.1 Personen, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 aus rassischen oder religiösen Gründen oder wegen ihres politischen oder ethisch begründeten Verhaltens oder aus anderen Gründen der nationalsozialistischen Ideologie durch staatliche Willkürmaßnahmen nachhaltig betroffen worden sind, können aus dem Härtefonds des Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nach Maßgabe dieser Richtlinien Unterstützungen erhalten.

1.2 Ein Rechtsanspruch auf die Unterstützung besteht nicht.

1.3 Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG), dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz und dem Gesetz über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet sowie Leistungen nach den hierzu ergangenen oder noch ergehenden Härterichtlinien der Bundesregierung sollen vorrangig geltend gemacht werden.

2 Personenkreis

2.1 Antragsberechtigt sind von NS-Willkürmaßnahmen unmittelbar betroffene Opfer, die bisher keine oder nur eine geringe Entschädigung erhalten haben und diese auch nicht anderweitig erhalten können. Antragsberechtigt sind auch die betroffenen Personen, die bisher keine oder nur eine geringe Entschädigung wegen der durch die nationalsozialistische Verfolgung entstandenen Gesundheitsschäden erhalten haben und diese auch nicht anderweitig erhalten können. Eine laufende Beihilfe ist nicht als geringe Entschädigung anzusehen.

2.2 Antragsberechtigt sind ferner überlebende Ehegatten, Kinder und Eltern, wenn diese von den gegen die verstorbene antragsberechtigte Person gerichteten Maßnahmen oder deren Auswirkungen erheblich mitbetroffen waren. Die Zuwendungen für die einzelnen Hinterbliebenen dürfen zusammen den Betrag nicht übersteigen, der der betroffenen Person zugestanden hätte.

2.3 Erben werden nicht berücksichtigt.

3 Wohnsitzvoraussetzungen

3.1 Unterstützungen können betroffene Personen erhalten, die bereits zwei Jahre vor Antragstellung ihren Hauptwohnsitz in Rheinland-Pfalz hatten und im Zeitpunkt der Antragstellung und der Leistung noch haben.

3.2 Abweichend hiervon gilt bei einem ärztlich gebotenen Umzug wegen Pflegebedarf zu Angehörigen nach Rheinland-Pfalz oder von Rheinland-Pfalz in ein anderes Bundesland folgende Übergangsregelung:

Bei einem Zuzug und gleichzeitiger Einstellung der Leistung des bisherigen Wohnsitzlandes wird die Leistung dieses Landes in gleicher Höhe bis zur Bewilligung einer Leistung nach dem Härtefonds des Landes Rheinland-Pfalz, längstens zwei Jahre, weiter gewährt.

Bei einem Wegzug wird die bisherige Leistung bis zur Bewilligung einer Leistung nach den Regelungen im neuen Wohnsitzland weiter gewährt, längstens jedoch für zwei Jahre.

4 Ausschluss von Unterstützungen

Von Leistungen nach diesen Richtlinien ist ausgeschlossen, wer Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen ist oder der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet hat; die nominelle Mitgliedschaft in der NSDAP oder in einer ihrer Gliederungen schließt den Anspruch auf Entschädigung nicht aus, wenn die betroffene Person unter Einsatz von Freiheit, Leib oder Leben den Nationalsozialismus aus Gründen, die den Verfolgungsgründen des § 1 BEG entsprechen, bekämpft hat und deswegen verfolgt worden ist. Die Regelungen des § 7 BEG über Versagung, Entziehung und Rückforderung sind entsprechend anzuwenden.

5 Unterstützungen

5.1 Die Unterstützung besteht in der Regel aus einer einmaligen Kapitalzahlung bis zur Höhe von 3.580,- EUR.

5.2 In Ausnahmefällen kann die Unterstützung als laufende Beihilfe monatlich gewährt werden. Ein Ausnahmefall liegt vor bei einer durch NS-Unrecht verursachten nachhaltigen, nicht unerheblichen gesundheitlichen oder körperlichen Schädigung auch im Sinne einer Mitverursachung. Ein Schaden an Körper oder Gesundheit ist als nicht unerheblich anzusehen, wenn die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mindestens 25 v. H. beträgt. Bei einer allgemeinen MdE von mindestens 50 v. H. und bei einer festgestellten MdE aufgrund der Verfolgung wird vermutet, dass die durch die Unrechtsmaßnahme verursachte MdE 25 v. H. beträgt. Zum Nachweis des Grades der Behinderung genügt der Bescheid eines Versorgungsamts.

5.3 Die Höhe der Unterstützung ist unter Berücksichtigung von Art und Schwere der nationalsozialistischen Willkürmaßnahmen und den gegenwärtigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der betroffenen Person zu bemessen.

5.4 Wegen der Schädigung durch die NS-Gewaltherrschaft aus jeglichem Rechtsgrund anderweitig gewährte Leistungen sind sowohl bei einmaliger Unterstützung als auch bei laufender Beihilfe anzurechnen. Jedoch bleiben bei einer laufenden Beihilfe Einmalzahlungen im Gesamtbetrag bis 12.783,- EUR anrechnungsfrei; über 12.783,- EUR hinausgehende Einmalzahlungen führen zu einer Kürzung der laufenden Beihilfe auf 75 v. H., über 15.339,- EUR hin-ausgehende Einmalzahlungen führen zu einer Kürzung der laufenden Beihilfe auf 65 v. H., über 17.896,- EUR hinausgehende Einmalzahlungen führen zu einer Kürzung der laufenden Beihilfe auf 55 v. H. und über 20.452,- EUR hinausgehende Einmalzahlungen führen zu einer Kürzung der laufenden Beihilfe auf 45 v. H. der nach Nummer 5.7 errechneten Beihilfe.

5.5 Eine Unterstützung kann gewährt werden, wenn die Nettoeinkünfte die jeweils maßgebenden Freibeträge des § 34 Abs. 3 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes (3. DV-BEG) vom 28. April 1966 (BGBl. I S. 300) in der jeweils geltenden Fassung bei Alleinstehenden ab 1. August 2004 um nicht mehr als 168,- EUR, als Familieneinkommen um nicht mehr als 279,- EUR übersteigen. Die Erhöhungsbeträge von 168,- bzw. 279,- EUR werden nach dem 1. August 2004 entsprechend der jeweiligen prozentualen Erhöhung der Freibeträge gemäß § 34 Abs. 3   3. DV-BEG ‒ aufgerundet auf volle EUR – angepasst.

5.6 Bei außergewöhnlichen Umständen können einmalige Kapitalzahlungen abweichend von den in Nummer 5.5 genannten Voraussetzungen gewährt werden.

5.7 Die laufende Beihilfe darf zusammen mit den Nettoeinkünften die Beträge nach Nummer 5.5 nicht überschreiten. Sie wird gewährt bis zur Höhe der Mindestrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz (ab dem 1. August 2004 = 422,- EUR).

5.8 Die nach diesen Richtlinien gewährten Leistungen sollen den betroffenen Personen als Ausgleich für das erlittene Unrecht zugutekommen. Sie sollen daher nicht zur Minderung der Einkünfte führen, auf die die betroffenen Personen einen gesetzlichen Anspruch haben.

5.9 Die Unterstützungen sind persönlicher Natur und daher nicht übertragbar. Sie werden der berechtigten Person unmittelbar gezahlt und sind als laufende Beihilfe jederzeit widerruflich. Im Falle des Todes der berechtigten Person nach Antragstellung können einmalige Kapitalzahlungen der hinterbliebenen Ehegattin oder dem hinterbliebenen Ehegatten, ersatzweise den Kindern der verstorbenen Person ausgezahlt werden. Überzahlte Leistungen sind zurückzufordern.

6 Antragstellung und Nachweise

6.1 Die Unterstützungen werden auf Antrag gewährt. Der Antrag beinhaltet das Einverständnis zur Einholung von Auskünften und Einsichtnahmen in Akten, eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, ein Einverständnis zur Weiterleitung der Antragsunterlagen an andere Behörden sowie eine datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung.

6.2 Die antragstellenden Personen haben die nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen, denen sie ausgesetzt waren, sowie die dadurch erlittenen Schäden an Freiheit oder an Körper und Gesundheit darzustellen und durch geeignete Mittel nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Zur Glaubhaftmachung genügt auch die Benennung und Bezeichnung entsprechender Beweismittel, verbunden mit der Ermächtigung der Entschädigungsbehörde, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen zu führen. Hierfür haben die antragstellenden Personen die in Betracht kommenden Behörden, Gerichte, Ärztinnen und Ärzte und sonstigen Stellen von ihrer Geheimhaltungspflicht zu entbinden.

Die für die Bemessung der Unterstützungen zu berücksichtigenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind darzulegen und durch amtliche Urkunden oder sonstige Originalunterlagen nachzuweisen. Falls die antragstellenden Personen bereits Entschädigungs- oder Ausgleichsleistungen aus öffentlichen Mitteln des Bundes oder eines Landes erhalten haben, sind die entsprechenden Angaben zu machen und die Zuerkennungsbescheide oder Bewilligungsmitteilungen dem Antrag beizufügen.

6.3 Der Antrag ist beim Landesamt für Finanzen – Amt für Wiedergutmachung ‒, Postfach 1465 in 54434 Saarburg schriftlich zu stellen. Antragsvordrucke und Abdrucke dieser Richtlinien werden von dort zur Verfügung gestellt.

7 Entscheidung über die Unterstützungen

7.1 Das Landesamt für Finanzen – Amt für Wiedergutmachung ‒ entscheidet unter Würdigung des Verfolgungsschicksals, der heute noch bestehenden Folgen und der gegenwärtigen Lebensumstände. Ist ein Beirat berufen, ist bei der Entscheidung dessen Votum zu berücksichtigen.

7.2 Über die Entscheidung erhält die antragstellende Person eine schriftliche Mitteilung mit den Entscheidungsgründen.

8 Beirat

Es kann ein Beirat durch die Ministerin oder den Minister der Finanzen gebildet werden nach den folgenden Bestimmungen:

8.1 Die Fraktionen des Landtags schlagen je ein Mitglied vor. Je ein weiteres Mitglied entsenden die Organisationen der Jüdischen Gemeinden sowie der Sinti und Roma.

8.2 Die Ministerin oder der Minister der Finanzen beruft die Mitglieder für jeweils zwei Jahre. Aus dem Kreis der Mitglieder beruft die Ministerin oder der Minister ein vorsitzendes Mitglied und ein stellvertretendes vorsitzendes Mitglied

8.3 An den Beratungen des Beirats nehmen je eine Vertreterin oder ein Vertreter des Landesamtes für Finanzen ‒ Amt für Wiedergutmachung ‒ und des Ministeriums der Finanzen ohne Stimmrecht teil.

8.4 Der Beirat kann sich eine Geschäftsordnung geben.

8.5 Die Mitglieder des Beirats werden ehrenamtlich tätig. Sie erhalten Fahrtkostenersatz in entsprechender Anwendung des Landesreisekostengesetzes.

9 Inkrafttreten

Diese Richtlinien treten am 2. Dezember 2019 in Kraft und ersetzen die bisher unveröffentlichten Richtlinien des Ministeriums der Finanzen für den Härtefonds des Landes Rheinland-Pfalz zur Unterstützung von Opfern des Nationalsozialismus vom 30. September 1996 in der Fassung vom 1. September 2014.